Am 28. April 2023 gedenken wir dem 100. Geburtstag eines der renommiertesten deutschen Psychoanalytikers, Horst-Eberhard Richter. Der am 19. Dezember 2011 im Alter von 88 Jahren verstorbene Psychoanalytiker wird national und international als Vordenker der Friedensbewegung geschätzt. Zeit seines Lebens galt sein Engagement der Solidarität und dem Frieden sowie dem Schutz der Umwelt und atomarer Abrüstung. Richter war und bleibt ein respektierter Intellektueller der Friedensbewegung, der es schaffte, das Wissen der Psychoanalyse in die konkrete Alltagswelt hineinzutragen. Seit den Siebzigern bis zu seinem Lebensende publizierte Richter Beiträge über neue soziale Bewegungen, Humanität und zum Dialog zwischen West- und Ost-Europa. In seinen Arbeiten und Reden widmete er sich den Ungerechtigkeiten im Zusammenhang mit der Globalisierung sowie den psychischen Ursachen von Krieg und Unfrieden.
Nach dem Zweiten Weltkrieg studierte er Medizin, Philosophie und Psychologie. In seiner Arbeit mit psychisch kranken Kindern und Jugendlichen (1952-1962) brachte er die psychischen Krankheiten von Heranwachsenden mit den Spätfolgen der Kriegszeit in Verbindung. Zwischen 1952 und 1959 wurde er Facharzt in Neurologie und Psychiatrie und absolvierte seine Ausbildung zum Psychoanalytiker in Berlin. Anfang der Sechziger leitete er das Berliner Psychoanalytische Institut und hatte ab 1962 bis 1991 den Lehrstuhl der Psychosomatik der Universität Gießen inne. Von 1964 bis 1968 war er Präsident der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung und wurde nach seiner Emeritierung von 1991-2002 Direktor des Sigmund-Freud-Instituts in Frankfurt.
Prof. Dr. Richter ist international bekannt für seine Publikationen, in denen er Psychologie und Sozialwissenschaften miteinander verknüpfte: anfänglich dadurch, dass er die Psychoanalyse vom individuellen auf das familiale Niveau weiterdachte (sein Beitrag zur psychoanalytischen Familientherapie); später dadurch, dass er Psychoanalyse und sozial-gesellschaftliche Fragestellungen sehr eng aufeinander zu beziehen vermochte und die Bedeutung der Gruppendynamik sowie die politische Bedeutung der Psychotherapie/Psychoanalyse in den Fokus rückte. Bekannt wurde durch Richter auch der 1972 erstmals veröffentlichte Gießen-Test, ein Testverfahren aus der Persönlichkeitspsychologie, den er in Zusammenarbeit mit seinen Gießener Kollegen Dieter Beckmann und Elmar Brähler entwickelte.
Das von ihm in den Sechzigern gegründete Psychoanalytische Institut in Gießen ist ihm zu Ehren 2017 zum Horst-Eberhard-Richter-Institut für Psychoanalyse umbenannt worden. Auch in den umliegenden Ländern erlangte Richters klinisch-therapeutische Arbeit Bekanntheit, wobei an die enge Zusammenarbeit zwischen dem Gießener Institut und dem Institut für Familien- und Sexualwissenschaften (IFSW) der Katholischen Universität Leuven (Belgien) erinnert sei. Am IFSW gehörten Richters Bücher – Eltern, Kind und Neurose (1963); Patient Familie (1970); Familie und seelische Krankheit (1976) und Krise der Männlichkeit (2006) – zur Pflichtlektüre und seine Vorlesungen als Gastdozent (von 1990 bis 2002) zum Curriculum, was von den Studierenden sehr begrüßt wurde.
Anlässlich des 100. Geburtstags von Horst-Eberhard Richter möchten wir seinen bedeutenden Beitrag zur Psychoanalyse, zur Friedensforschung und zur Geschichte des Sigmund-Freud-Instituts in Frankfurt würdigen und an sein Engagement für Themen erinnern, die aktueller sind als je zuvor.
Das Direktorium des Sigmund-Freud-Instituts